Ländertarifflucht geschieht an fast allen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Sie umgehen wissentlich arbeitsrechtliche Standards und nutzen die Unwissenheit der studentischen Beschäftigten aus, um sie beispielsweise in Verwaltungsjobs nicht nach dem Tarifvertrag der Länder zu bezahlen oder schreiben ihnen ECTS gut, anstatt die Arbeit mit Geld zu entlohnen.
Wie juristische und politische Tarifflucht aussieht und was wir dagegen unternehmen können, möchten wir in gemeinsamen in der AG Tarifflucht erarbeiten! Materialien zum Download wird im Cloud-Ordner “AG Tarifflucht” bereitgestellt und in der Telegram-Gruppe kann sich weiter vernetzt werden.
FAQ Tarifflucht und Eingruppierung bei studentischen Beschäftigten
Was ist Tarifflucht?
Tarifflucht meint ganz allgemein den Versuch eines Arbeitgebers, einen geltenden Tarifvertrag zu unterlaufen und dadurch Löhne unterhalb des Tariflohns zu zahlen. Auch wenn ein Arbeitgeber einen Tarifvertrag, den er abgeschlossen hat, auf eine bestimmte Beschäftigtengruppe nicht anwendet, obwohl der Tarifvertrag für diese Beschäftigtengruppe Entgeltregelungen enthält, ist das Tarifflucht. Nur mit dieser Variante der Tarifflucht beschäftigen wir uns hier.
Was hat Tarifflucht mit studentischen Beschäftigten zu tun? Inwiefern betrifft Tarifflucht euer Arbeitsverhältnis? Was könnt ihr tun, wenn ihr betroffen seid. Das versuchen wir hier zu beantworten.
Wann kann Tarifflucht bei studentischen Beschäftigten vorliegen?
Beschäftigte, die innerhalb ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht unmittelbar in der Unterstützung von Forschung und Lehre tätig sind – also überwiegend nicht-wissenschaftliche Tätigkeiten ausüben –, fallen unter den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) – bzw. unter den Tarifvertrag, der an ihrer Hochschule gilt. Wenn der Arbeitgeber den Tarifvertrag nicht anwendet und zahlt stattdessen den Stundenlohn gemäß TdL-Richtlinie, liegt Tarifflucht vor.
Welche Bereiche sind davon betroffen?
In Bibliotheken, in der Verwaltung, im International Office, in Sekretariaten oder der IT werden studentische Beschäftigte überwiegend mit Verwaltungsaufgaben statt mit wissenschaftlichen Tätigkeiten beschäftigt. Gerade in diesen Bereichen muss genau geschaut werden, ob eine studentische Beschäftigung vorliegt oder eine Tätigkeit, die unter den TV-L fällt.
Was hat das für Auswirkungen für die einzelnen Beschäftigten?
Beschäftigte, die unter die TV-L fallen, erhalten nicht nur die tarifliche Vergütung. Auch alle anderen tarifvertraglichen Regeln, zum Beispiel der Urlaubsanspruch von 30 Tagen bei einer Fünftagewoche, sind auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden.
Welcher Tarifvertrag könnte auf mein Arbeitsverhältnis anzuwenden sein?
Für die meisten Hochschulen gilt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). An einzelnen Hochschulen des Bundes und den meisten Forschungseinrichtungen der außeruniversitären Forschung wird der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) angewendet. Hessen hat einen eigenen Tarifvertrag (TV-H).
Für wen gilt ein Tarifvertrag?
Der Tarifvertrag der Länder wird zwischen den Gewerkschaften einerseits und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) andererseits für alle Bundesländer außer Hessen geschlossen. Hessen hat einen eigenen Tarifvertrag (TV-H). Für die wenigen Hochschulen des Bundes gilt der TVöD. In der außeruniversitären Forschung gibt es teilweise Anwendungstarifverträge, die die entsprechenden Regeln des TVöD Bund oder Kommune in Kraft setzen. In der Mehrzahl der außeruniversitären Einrichtungen wird der TVöD nur durch einzelvertragliche Bezugnahme angewendet. Die privaten Hochschulen sind regelmäßig nicht tarifgebunden.
Unmittelbar gilt der Tarifvertrag nur für Gewerkschaftsmitglieder. Es ist daher sinnvoll Gewerkschaftsmitglied in einer der tarifschließenden Gewerkschaften zu werden. Das sind im Fall des TV-L ver.di und GEW. Jetzt Mitglied werden bei ver.di oder GEW!
Wie erkenne ich, ob ich eine wissenschaftliche Tätigkeit ausübe oder nicht?
„Eine wissenschaftliche Hilfstätigkeit gemäß § 6 Satz 1 WissZeitVG liegt vor, wenn durch die Tätigkeit die wissenschaftliche Arbeit anderer in Forschung und Lehre unmittelbar unterstützt wird […]“ (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.06.2021, 7 AZR 245/20).
Diese Definition wissenschaftlicher Hilfstätigkeiten, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz betrifft, kann auch für die Eingruppierung herangezogen werden.
Entscheidend ist, welche Tätigkeiten das Arbeitsverhältnis insgesamt prägen. Das sind die Tätigkeiten, die mehr als 50 Prozent der Arbeitszeit ausmachen. Wenn also über 50 Prozent der Tätigkeiten dem Bereich Technik und Verwaltung zuzuordnen sind, fällt das gesamte Arbeitsverhältnis in den Anwendungsbereich des TV-L.
Eine Kategorisierung der Arbeitsinhalte in wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Tätigkeiten findet ihr in der Studie „Jung, akademisch, prekär“, S. 86.
Was kann ich tun, wenn ich den Verdacht habe, dass bei meinem Arbeitsverhältnis Tarifflucht vorliegt?
Erste Anlaufstelle für die Überprüfung der Bezahlung sind die Personalräte der Hochschulen. Sie sind bei der Eingruppierung von allen Beschäftigten in der Mitbestimmung, auch bei studentischen Beschäftigten in Technik und Verwaltung.
Auch die Rechtsschutzstellen der Gewerkschaften beraten in dieser Frage und geben eine Einschätzung über den konkreten Fall ab. Und schließlich helfen dir auch Kolleg*innen aus der TVStud-Initiative vor Ort gerne weiter.
Im ersten Schritt machst du deinen Anspruch auf Eingruppierung nach TV-L bei deinem Arbeitgeber geltend. Vielleicht geht dein Arbeitgeber direkt auf deine Forderungen ein. Wenn die Geltendmachung abgelehnt wird, nimmst du Kontakt mit der Rechtsschutzstelle deiner Gewerkschaft auf. Diese berät mit dir das Vorgehen und entscheidet, ob Rechtsschutz für eine Eingruppierungsklage gewährt wird. Es ist wichtig, das Vorgehen vorab mit der Rechtsstelle abzustimmen, denn nur dann werden die Kosten übernommen.
Ist die Mitgliedschaft notwendig, um gewerkschaftlichen Rechtsschutz zu bekommen?
Ja, rechtliche Unterstützung durch die Gewerkschaft erhalten nur Gewerkschaftsmitglieder. Für sie fallen keine Kosten an, denn unter anderem dafür zahlen alle ihren solidarischen Mitgliedsbeitrag.
Gewerkschaftsmitglieder können sich ab Beginn der Mitgliedschaft von ihrer Gewerkschaft beraten lassen. Gewerkschaftlicher Rechtsschutz wird nach den Regelungen der Richtlinien für den Rechtsschutz von GEW und Verdi gewährt.
Müssen die nicht-wissenschaftlichen Tätigkeiten für eine mögliche Klage dokumentiert werden?
Die Dokumentation der Tätigkeiten in Form eines Arbeitstagebuchs ist sinnvoll. Für die Dokumentation kann auch der Schriftverkehr mit deinen direkten Vorgesetzten über deine Aufgaben nützlich sein Eine Verbindung mit Zeitangaben erleichtert nachträglich eine Rekonstruktion der Situationen.
In welche Entgeltgruppe werden studentische Beschäftigte eingruppiert?
Studentische Beschäftigte, die keine wissenschaftlichen oder künstlerischen Hilfstätigkeiten erbringen, werden wie – alle anderen Beschäftigten – entsprechend ihrer Qualifikation und Tätigkeit tariflich eingruppiert. Die typischen studentischen Nebentätigkeiten an den Hochschulen sind in der Regel den Entgeltgruppen 2 bis 9 zuzuordnen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg stufte eine studentische Beschäftigte beispielsweise aufgrund ihrer ausgeübten Tätigkeit in Form von „Mitwirken an der Programmierung“ in die Entgeltgruppe 8 des TV-L ein (vgl. Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 05.06.2018 – 7 Sa 143/18).
Eingruppierung mit Abschluss?
Ein berufsqualifizierender (Hochschul-) Abschluss hat grundsätzlich nur dann eine Auswirkung auf die Lohnhöhe, wenn die Beschäftigung entsprechend der durch den Hochschulabschluss erworbenen Qualifikation erfolgt. Studentische Beschäftigte, die bereits einen Hochschulabschluss haben und in den Bereichen Technik und Verwaltung eingesetzt werden, führen jedoch in aller Regel eine Tätigkeit aus, für die der Hochschulabschluss irrelevant ist.
Für welchen Zeitraum erhalte ich mehr Geld? Auch rückwirkend?
Ansprüche aus dem TV-L verfallen nach § 37 TV-L, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von der beschäftigten Person geltend gemacht werden. Auch nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses hast du sechs Monate Zeit, um Ansprüche geltend zu machen.
Wird der Arbeitsvertrag automatisch entfristet, wenn ich nach dem Tarifvertrag eingruppiert werde?
Nein, es gibt keinen Automatismus, obwohl beides zusammenhängt. Die rechtlichen Grundlagen sind jedoch unterschiedlich. Eingruppierung und Entfristung müssen gesondert eingefordert werden.
Voraussetzung für eine Befristung nach §6 WissZeitVG ist, dass eine wissenschaftliche oder künstlerische Hilfstätigkeit erbracht wird. Wenn festgestellt wird, dass studentische Beschäftigten in Wissenschaft und Technik eingesetzt werden und deshalb nach dem Tarifvertrag einzugruppieren sind, entfällt diese Befristungsmöglichkeit. Der Arbeitgeber kann sich aber auch im Nachhinein darauf berufen, dass es sich um eine sachgrundlose oder eine Sachgrund-Befristung nach TzBfG handelt. Dies ist bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren möglich, geht aber nur, wenn es sich um den ersten Arbeitsvertrag mit diesem Arbeitgeber handelt.
In jedem Fall sollte geprüft werden, ob die Eingruppierung in den Tarifvertrag gemeinsam mit der Entfristung geltend gemacht und eingeklagt werden kann.
WICHTIG: Für die Entfristung ist es nicht ausreichend, den Anspruch lediglich geltend zu machen. Entfristungsklagen müssen nach § 17 TzBfG innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Ende des Arbeitsvertrages bei Gericht eingereicht werden. Nach Ablauf der Frist ist die Befristung wirksam.